Die zwei Strategien im Einzelnen
Für die Immuntherapie verwenden Frau Professor Herr und ihr Kollege Dr. Moldenhauer vom Nationalen Zentrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg sogenannte bispezifische Antikörper. Diese Antikörper sind künstliche Moleküle, die in der Natur nicht vorkommen. Sie binden sowohl an Immunzellen, als auch an Tumorzellen und verknüpfen beide Zelltypen miteinander. So haben die Immunzellen genug Zeit und die nötige räumliche Nähe, um die Tumorzellen anzugreifen und zu zerstören. „Unser bispezifischer Antikörper EpCAMxCD3 erfüllt zwei Aufgaben: Über eine Bindungsstelle für den Oberflächenrezeptor CD3 erkennt der Antikörper T-Zellen des Immunsystems und aktiviert sie. Die zweite Bindungsstelle erkennt das EpCAM Protein, das bei vielen bösartigen Tumorzellen vermehrt auf der Oberfläche vorkommt“, sagt Dr. Moldenhauer. Zwar gibt es das EpCAM Protein auch auf gesunden Zellen, hier sind die Bindungsstellen allerdings größtenteils verdeckt und daher für den Antikörper nicht zugänglich. „Für den Therapieerfolg ist es wichtig, dass EpCAM besonders auf Tumorstammzellen zu finden ist – so erreicht unsere Therapie auch diese besonders aggressiven Zellen“, beschreibt Dr. Moldenhauer. Tumorstammzellen sind einzelne Tumorzellen, die viele Eigenschaften von Stammzellen besitzen. Das Problem: Während bei einer gängigen Tumortherapie wie Bestrahlung oder Chemotherapie der Großteil der bösartigen Geschwulst abstirbt, überleben die Tumorstammzellen die Prozedur unbeschadet. Experten nehmen daher an, dass die Tumorstammzellen für die Ausbildung von Metastasen und Rezidiven, also für ein erneutes Tumorwachstum nach einer Therapie, verantwortlich sind.
Die Gentherapie: Diese zweite Strategie der Heidelberger Forscher soll den therapeutischen Effekt der bispezifischen Antikörper verstärken. Mit Hilfe eines ungefährlichen Virus verändern die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Immunzellen der Tumorpatienten gentherapeutisch, so dass sie ein bestimmtes Molekül, den Todesliganden TRAIL, vermehrt produzieren. „Es entstehen supernatürliche Immunzellen“, so Frau Professor Herr. Das klingt wieder ein bisschen nach Science-Fiction, aber die Strategie funktioniert: Immunzellen, die per Gentherapie mit dem Todesliganden gewappnet auf die Jagd gehen, lösen in Tumorzellen den programmierten Zelltod, die Apoptose, aus – und zwar nur in Tumorzellen und nicht in normalem gesunden Gewebe.
Die Gen-Immuntherapie: Was passiert wenn nun beide Therapiestrategien miteinander kombiniert werden? Zunächst werden T-Zellen aus dem Blut eines Tumorpatienten isoliert und mit dem Todesliganden TRAIL bestückt. Diese gentherapeutisch veränderten Immunzellen werden anschließend im Labor mit den bispezifischen Antikörpern vermischt. „So können die Antikörper mit ihrer einen Bindungsstelle, dem sogenannten T-Zell-bindenden Arm, vorab an die Immunzellen koppeln“, erklärt Frau Professor Herr. Das Gemisch würde dann dem Krebspatienten injiziert und die Antikörper mitsamt den T-Zellen suchen sich ihren Weg zu den Tumor- bzw. zu den Tumorstammzellen und zerstören sie mit doppelter Kraft. Soweit die Theorie.
Tumore lösen sich auf
„Beide Therapieansätze wurden bisher einzeln in klinischen Studien getestet und für sicher befunden. Wir planen jetzt, die Kombination aus Gen- und Immuntherapie bei Patientinnen und Patienten mit Bauchspeicheldrüsenkrebs und fortgeschrittenem Prostatakarzinom zu erproben“, sagt Frau Professor Herr. Bis zur Klinischen Anwendung der doppelten Strategie wird es aber noch Jahre dauern. In Tierversuchen hat sich die Gen-Immuntherapie schon bewährt. Bei Mäusen, die mit der Kombinationstherapie behandelt wurden, zeigte sich im Vergleich zu Kontrollgruppen ein nahezu vollständiger Wachstumsstopp des Tumors und auch die Tumorstammzellen konnten eliminiert werden. Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet. „Interessanterweise kam es zu einer Art Verflüssigung der Tumore. Sie wurden regelrecht aufgelöst“, beschreibt Dr. Moldenhauer. Durch die kombinierte Anwendung von TRAIL-Immunzellen und bispezifischen Antikörpern bildeten sich in den Tumoren große Zysten aus, die mit klarer Flüssigkeit gefüllt sind. „Wir vermuten, dass die mit dem Todesliganden bestückten Lymphozyten eine Entzündungsreaktion hervorrufen, die durch die Antikörper verstärkt wird“, so Frau Professor Herr. In die Zysten wandern Makrophagen ein. Makrophagen sind die Fresszellen des Immunsystems. Sie beseitigen unter anderem zerstörte Zellen. „In unserem Fall werden sie herbeigerufen, um die abgetöteten Tumorzellen abzutransportieren“, sagt Frau Professor Herr.
Die Wissenschaftler erhoffen sich, durch ihre neue doppelte Therapiestrategie besonders bösartige Tumorarten bekämpfen und auch die aggressiven Tumorstammzellen beseitigen zu können.
Dieser Ansatz ist rein experimentell und nicht zur Behandlung von Patienten zugelassen.
Ansprechpartner/-in:
Prof. Dr. Ingrid Herr
Experimentelle Chirurgie/Molekulare OnkoChirurgie
Chirurgische Universitätsklinik Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 365
69120 Heidelberg, Germany
Fax: 06221 56-6119
E-Mail: i.herr@dkfz.de
Dr. Gerhard Moldenhauer
Abteilung Translationale Immunologie
Deutsches Krebsforschungszentrum und
Nationales Zentrum für Tumorerkrankungen
Im Neuenheimer Feld 460
69120 Heidelberg
Fax: 06221 56-4776
E-Mail: g.moldenhauer@dkfz.de